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Von: Reinhard Prahl
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Mit „Monsters: The Lyle and Erik Menendez Story“ legt Autor und Produzent Ryan Murphy die zweite Staffel seines True-Crime-Formats nach - und startet beinahe perfekt in die neunteilige Season.
Spoilerwarnung - diese Meldung kann Hinweise auf die Fortführung der Handlung enthalten!
Das passiert in der Folge „Blame It on the Rain“ von „Monsters: The Lyle and Erik Menendez Story“
Lyle (Nicholas Alexender Chavez, „General Hospital“) und Erik Menendez (Cooper Koch) sind in Monsters: The Lyle and Erik Menendez Story zwei reiche Yuppie-Twens aus gutem Hause, die unter dem Kontrollzwang und den verachtenden Handlungen ihrer Eltern leiden. Irgendwann ist das Maß voll und die Brüder beschließen, sie zu erschießen. Der Mord kommt einer brutalen Hinrichtung gleich und zunächst scheinen die Spuren auf einen Racheakt der Mafia hinzudeuten. Doch Lyle plagen Gewissensbisse, deshalb wendet er sich an seinen Psychologen Dr. Oziel (Dallas Roberts, The Walking Dead). Damit tritt er eine Lawine los, die in der Verhaftung von Lyle und Erik münden...
He did it again
Ryan Murphy ist in der US-amerikanischen Serienlandschaft schon lange eine Institution. Egal ob Formate wie Nip/Tuck und Glee, das Procedural Drama 9-1-1 oder die härtere Gangarten à la American Horror Stories: Murphy weiß offensichtlich, wie man gute Geschichten erzählt. Seine neueste Idee lässt sich vielleicht am besten als True-Crime-Anthologie beschreiben.
In „Monsters“ widmet sich der Produzent, Autor und Musiker nämlich wahren Verbrechen, die jeweils in einer separaten Staffel narrativ aufgearbeitet werden. Die Debütseason mit dem Titel Monster: The Jeffrey Dahmer Story feierte beim Streaminggiganten Netflix große Erfolge, so dass es eigentlich nie eine Frage war, ob es eine Fortsetzung geben würde, sondern lediglich, welchen Falles Murphy sich widmen würde.
Start mit Wow-Effekt
Nun ist das Warten endlich vorbei, und um es vorwegzunehmen: Es hat sich gelohnt. Die Geschichte um die beiden aus reichem Hause stammenden Lyle und Erik Menendez genießen nicht nur in den USA einen gewissen Bekanntheitsgrad. In den 90er Jahren ermordeten die Brüder ihre Eltern im eigenen Haus auf brutale Weise und wären beinahe mit ihrem kaltblütigen Verbrechen davongekommen.
Nur ein zu ausschweifendes Leben verriet sie letztlich und brachte sie ins Gefängnis. Die Geschichte wurde seinerzeit lang und breit in der internationalen Presse behandelt und ist allein schon deshalb eine neue filmische Aufarbeitung wert.
Weil sich der Fall allerdings als komplex herausstellte, entschied sich Murphy interessanterweise für eine recht differenzierte Interpretation. Bis heute werden nämlich gegen den erschossenen Vater Josè Menendez (eigentlich: Menéndez) immer wieder Missbrauchs- und Vergewaltigungsanschuldigungen laut. Erst 2023 tauchten beispielsweise neue Hinweise seitens des ehemaligen Boybandmitglieds Roy Rosselló auf, die darauf hindeuten, dass Menendez ein Pädophiler gewesen sein könnte.
Diesen schwierigen Umständen trägt der Produzent mit einer intensiven Inszenierung und einer spannend ambivalenten Charakterisierung der Hauptfiguren Rechnung. Dabei beschönigt er nicht, wie brutal die Brüder ihre Eltern regelrecht hinrichteten. Die entsprechende Szene wird in der Pilotfolge lang und breit vor dem Publikum in aller Drastik ausgebreitet, gut gemachte Gore-Effekte inklusive. Diese sind aber nicht nur Mittel zum Zweck, sondern dienen dem tieferen Verständnis der Tat.
Denn Erik und Lyle werden nicht nur als geldgierige Yuppie-Kids verteufelt, die ihre Eltern killen, um an das unverschämt hohe Erbe zu kommen. Vielmehr spielt Schuld in der Pilotfolge eine ausnehmend große Rolle, die zu einem Schlüsselmoment führt, in dem wir erfahren, wie die Brüder die Tat planten und ausführten.
Soziopathen
Lyle, so viel wird schnell klar, ist ein Soziopath. Er ist aufbrausend, egoistisch und hedonistisch veranlagt. Die einzige Person, die ihm wirklich etwas zu bedeuten scheint, ist sein Bruder, mit dem er die Freuden, vor allem aber auch die Leiden des Familienlebens teilt.
Lyle ist der Ideengeber und damit auf seine Art nicht minder verrückt. Ein von seinem Vater mit produzierter Film dient als Inspirationsquelle für die Tat, die im Übrigen nicht einmal sonderlich gut durchgeplant wird. Die Frage der Schuld stellt sich insofern also keine Sekunde, zumal der Ermordung wochenlange Diskussionen, Waffenkäufe und Absprachen vorausgehen.
Dennoch beginnt die Serie mit einer emotionalen Kapitulation. Erik erlebt den Mord im Traum immer wieder, kann nicht mehr schlafen und wird von suizidalen Gedanken geplagt. Während der eine unbeschwert weiterlebt, wird der andere also von Gewissensbissen gequält, die ihn schließlich in die Arme seines Psychologen treiben. Erst hier wird das ganze Ausmaß der Tragödie dann langsam deutlich, denn weder Lyle noch Erik halten sich für schlechte Menschen und vor allem Ersterer sucht in seinem Geständnis so etwas wie Absolution.
Intensität garantiert
Das alles ist so intensiv inszeniert, dass man als Zuschauender gebannt vor dem Bildschirm verweilt, obwohl man den Ausgang der Staffel längst kennt. Allerdings geht Murphy hier nicht nach dem bisweilen etwas generischen Howcatchem-Prinzip vor, sondern konzentriert sich in der Debütepisode voll und ganz auf die Vorstellung der Hauptfiguren, ihrer Umstände und die Tat. Dank der tollen schauspielerischen Leistung von Cooper Koch, Nicholas Alexander Chavez und des ab Mitte der Folge hinzukommenden Dallas Roberts wird das nie langweilig, zumal auch Javier Bardem als ermordeter Vater José in diversen Rückblenden die ganze Grausamkeit eines kontrollierenden, machtbesessenen und narzisstischen Menschen offenbart.
Fast schon könnte man Mitleid mit dem Brüderpaar bekommen, aber eben nur fast, weil Murphy keinen Zweifel daran lässt, dass hier nicht nur die Befreiung von einem pädophilen Machtmenschen das Ziel war, sondern eben auch Geldgier eine nicht unerhebliche Rolle spielte. Wer tief in die Geschichte einzutauchen vermag, wird so in ein Gefühlschaos gestürzt, das einerseits von Verständnis, andererseits aber auch von Ablehnung gegenüber zwei Menschen geprägt ist, die ihre Eltern herzlos niedergemetzelt haben und anschließend versuchten, die Tat zu verschleiern.
Fazit
Fängt man Monsters: The Lyle and Erik Menendez Story einmal an zu schauen, dürfte es schwerfallen, die neue Staffel der „Monsters“-Serie von Ryan Murphy nicht durchzubingen. Hier passt so gut wie alles zusammen: Die Kameraführung, das Erzähltempo, die Schauspielleistungen und der Intensitätsfaktor. Wenn die Staffel in dieser Art weitergeht, darf sich Netflix mit hoher Wahrscheinlichkeit über Klickzahlen im Bestsellerbereich freuen, die dann zu weiteren Staffeln führen. Eine dritte „Monster“-Staffel rund um Ed Gein ist ja schon mal sicher. Und ich werde garantiert Teil dieser positiven Statistik sein, denn ich schaue jetzt weiter...
Wir vergeben daher viereinhalb von fünf Killern.